Im bislang nicht querdenkerisch in Erscheinung getretenen Medium "Der Maschinenbau" ist unter diesem Titel am 15.6. zu lesen:
»… ‚Die‘ Übersterblichkeit gibt es nicht
Grundsätzlich versteht man unter dem Begriff ‚Übersterblichkeit‘ die Differenz zwischen den tatsächlich beobachteten Todesfällen und der Anzahl, die statistisch gesehen zu erwarten gewesen wäre. Wie viele Menschen tatsächlich sterben, wird in einem Land mit guter Bevölkerungsstatistik wie Deutschland recht genau erfasst. Für die Berechnung der erwarteten Todesfälle gibt es aber mehrere gängige Verfahren, die jeweils zu einer etwas anderen Übersterblichkeit führen.
So verwendet das Statistische Bundesamt meist ganz einfach den Median im gleichen Zeitraum der letzten vier Jahre als Erwartung. De Nicola, Kauermann und Höhle berücksichtigen zusätzlich zu den reinen Sterbezahlen der Vergangenheit auch die Entwicklung der Altersverteilung, denn in Deutschland kommt es allein durch das Älterwerden der Bevölkerung jedes Jahr tendenziell zu mehr Todesfällen.
Kurzfristige Zufallsschwankungen können WHO-Methode beeinflussen
Die WHO wiederum benutzt für ihre Studie ein relativ komplexes Verfahren, um aus den Sterbefällen der Jahre 2015 bis 2019 eine Erwartung für die Jahre 2020 und 2021 zu berechnen. Dieses Verfahren ist grundsätzlich sehr flexibel, hat aber leider einen erheblichen Nachteil: Es kann leicht von kurzfristigen Zufallsschwankungen beeinflusst werden. Genau das verursacht bei den deutschen Daten ein Problem: 2018 gab es durch eine starke Grippewelle ungewöhnlich viele Todesfälle, 2019 war der Wert hingegen eher niedrig. Das WHO-Verfahren lässt sich von dieser Schwankung irritieren und interpretiert sie fälschlich als Beginn eines deutlichen Abwärtstrends bei der Sterblichkeit. Dies führt dann zu der unplausiblen „Erwartung“, dass ohne Pandemie die Anzahl der Todesfälle in Deutschland in den Jahren 2020 und 2021 im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurückgegangen wäre, was dann wiederum automatisch zu der hohen berichteten Übersterblichkeit führt. Dieser Nachteil der WHO-Methode betrifft im Prinzip nicht nur Deutschland und muss auch nicht immer dazu führen, dass die Übersterblichkeit überschätzt wird. So scheinen z.B. in der WHO-Studie die Zahlen für Schweden, das durch seine Pandemiepolitik stets besondere Aufmerksamkeit erfährt, für die Jahre 2020 und 2021 mit Blick auf den langfristigen Trend deutlich zu niedrig.
Fazit
Die überraschenden Zahlen der WHO zur Übersterblichkeit sind zu einem großen Teil ein ungewollter Nebeneffekt einer eher ungewöhnlichen Berechnungsmethode und für Deutschland wahrscheinlich sehr deutlich zu hoch. Auch bei Verwendung plausiblerer Methoden sollte die Übersterblichkeit zudem nicht als alleiniges Maß für einen Ländervergleich der Effektivität von Corona-Maßnahmen verwendet werden, da diese auch von vielen anderen Faktoren, wie z.B. der jeweiligen Altersverteilung, beeinflusst wird. Die an der Entwicklung der WHO-Methodik beteiligten Wissenschaftler haben als Reaktion auf die Kritik inzwischen neue Zahlen für Deutschland und Schweden genannt. Mit gut 120.000 Todesfällen für die Jahre 2020 und 2021 liegt der neue Wert für Deutschland aber weiterhin ungewöhnlich deutlich über den Werten aus anderen Studien.
www.rwi-essen.de«
Offenbar stützt sich der Artikel auf die Studie "Zur Berechnung der Übersterblichkeit in Deutschland während der COVID-19-Pandemie" von Wissenschaftlern der Zeitschrift des Wirtschafts- und Sozialstatistischen Archivs vom 10.1.22.
Die statistische Fakultät der Uni München, zu der zwei der drei genannten Wissenschaftler gehören, hat ja schon häufiger die vermeintliche Übersterblichkeit analysiert und ist zu anderen Ergebnissen gekommen als die WHO oder das Statistische Bundesamt. Die Modelle dieser beiden Institutionen kranken daran, dass sie den zyklischen Verlauf der Sterbezahlen in Deutschland nicht auf dem Schirm und mit 2016 und 2019 zwei schwache Sterbejahre im Rechenbereich haben.
Deutschland weist nun einmal einen sehr hohen Anteil von Menschen über 80 und einen starken Einfluss der beiden Weltkriege auf die Sterberate auf. Diese Effekte führen zu besonders ausgeprägten Schwankungen innerhalb des in deutschland vorhandenen dreijährigen Zyklus, und das überfordert jedes länderübergreifende Modell.
Deswegen muss man statistische Werte in der Regel klassisch analysieren, BEVOR man mit Modellen arbeitet. Sonst passiert das, was wir in den letzten zwei Jahren gesehen haben: es werden völlig absurde Zahlen in die Luft geblasen, die einer genaueren Betrachtung keine drei Sekunden standhalten.
Wenn man die Entwicklungen der letzten 20 Jahre ausreichend berücksichtigt, dann liegt die "Übersterblichkeit" grob irgendwo zwischen 0 und 30.000 – und zwar für den gesamten Zeitraum 2019–2021. Wobei es eigentlich vermessen ist, so etwas auch nur annähernd exakt bestimmen zu wollen, weil viel zu viele Faktoren eine Rolle spielen.
Ich halte es hier mit Tom Lausen (geäußert in seinem Interview mit OvalMedia): Solange die Übersterblichkeit so gering ist, dass sie so empfindlich von der Wahl der Vorhersage der erwarteten Todesfälle abhängt, so lange ist sie nicht groß genug, um von einer besonderen Entwicklung reden zu können.