Warum eigentlich kein "zweites Ischgl"?

Gesundheitsminister Spahn verkündete gestern: "Ballermann darf kein zweites Ischgl werden". Das ist absurd.

Was war in Ischgl geschehen?

Der österreichische Verbraucherschutzverein (VSV) hatte Reisende, die sich nach dem 5.3. im Skigebiet um Ischgl aufgehalten und sich "mit dem Corona-Virus infiziert" hatten, aufgefordert, sich bei ihm zu melden.

Die letzte Auswertung dieser Umfrage stammt vom 24.5. Danach gaben von 6.151 Betroffenen 69,9% an, positiv getestet worden zu sein. Die Zahl der Toten wird mit 27 oder 0,44% angegeben. Im Krankenhaus behandelt wurden 1,77%, davon 0,69% auf einer Intensivstation. Fast zwei Drittel der Fälle betrafen in Deutschland lebende Menschen.

Wir sehen also eine extrem hohe Infektionsrate und eine extrem niedrige Zahl von symptomatisch Erkrankten.

Eine Nachricht vom 27.6. "überrascht":

»Eine Studie aus Ischgl überrascht mit ihrem Ergebnis. Demnach wurden bei 42,4 Prozent der Bewohner Ischgls Antikörper gegen das Coronavirus festgestellt. 85 Prozent der Betroffenen hätten die Krankheit unbemerkt überstanden. Eine Erkenntnis könnte sein, dass die Dunkelziffer der Coronavirus-Infektionen sehr viel höher ist, als bisher angenommen. Corona-Forscher Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, hält diese Verallgemeinerung der Ischgl-Studie jedoch für fatal. Das berichtet Focus.de.«

Wir erleben einen vertrauten Reflex: Studienergebnisse, die nicht in das medial vorbestimmte Bild passen, werden einem "Faktencheck" unterzogen. Fatal bedeutet in diesem Kontext, daß womöglich das monatelang gezeichnete Bild nicht stimmt.

Was sagt der Forscher Weber am 26.6. im Focus?

»Ich glaube nicht, dass die Dunkelziffer an Infizierten insgesamt so hoch ist, wie es die Ischgl-Studie suggeriert.«

Er glaubt;  die Studie suggeriert. Zwar erfahren wir in dem Artikel, daß sie nicht von Aluhüten, sondern der Medizinischen Universität Innsbruck vorgelegt wurde. Was aber bedeuten die Daten österreichischer VirologInnen gegen den Glauben eines deutschen Experten? Was ihn wirklich umtreibt, ist dies:

»Wäre dem so, müsste auch die Sterblichkeitsrate bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 neu berechnet werden. Nach den Zahlen der Innsbrucker Uni läge sie für Ischgl bei nur 0,25 Prozent; die WHO gibt sie bisher mit mehr als zwei Prozent an und damit fast zehnmal so hoch.«

Dann wären die Gruselbilder umsonst gewesen:

»"Schauen Sie sich die Todeszahlen und die Massengräber an, die in Brasilien und New York ausgehoben werden, die Stapel an Särgen, die in Italien unter die Erde gelassen wurden."...
Die Behauptung, das Virus sei weniger gefährlich als gedacht, sei daher „kompletter Quatsch“.«

Drei Tage zuvor hatte Weber "eine landesweite Infektion" in Sachen Tönnies prophezeit. "Corona-Brandherden [so im Original] wie die in Berlin, Göttingen oder in Gütersloh können eine zweite Welle schon viel früher auslösen." Wir haben erlebt, was wirklich geschah.

Auch zum Ballermann trägt der Professor seine Expertise bei:

»Abgesehen davon, dass die Partys nicht in geschlossenen Räumen stattfinden, sind das die perfekten Bedingungen für Superspreading-Events, über die sich das Virus besonders stark verbreitet. Deshalb wäre ich überrascht, wenn es nach der Urlaubssaison keinen Anstieg der Infektionen geben würde.«

Es wäre nicht seine erste Überraschung.


Man muß Menschen nicht mögen, die sich in Party-Hotspots wie Ischgl oder dem Ballermann herumtreiben. Man soll geißeln, daß aus wirtschaftlichen Gründen die Gefährdung durch eine Ansteckung verschwiegen wurde und wird. Doch was sagen die Zahlen aus, und wie wird Ischgl bis heute instrumentalisiert? (Siehe dazu auch Wie war das noch mit Ischgl von Berlin?)

Nach merkur.de wurde von der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit eine Schweizerin als "Patientin Null" ermittelt, die bereits am 5.2. erkrankt, aber erst am 9.3. positiv getestet. Das würde bestätigen, was auch andere Studien nahelegen, daß das Virus bedeutend länger in Europa unterwegs ist als bislang offiziell dargelegt. (Vgl. Corona schon 2019 in Europa? Kann ja gar nicht...)

Nun ist Gelegenheit für eine Überraschung des Autors dieses Beitrags. Denn ausgerechnet der so stur erscheinende Prof. Friedemann Weber

"...hält die Studienergebnisse [aus Italien, A.A.] aus mehreren Gründen für plausibel...

Es sei gut möglich, dass das Virus durch Flüge aus China bereits im vergangenen Jahr nach Europa gelangt sei, sagt Weber. "Das Virus könnte eine Magen-Darm-Infektion mit Durchfall ausgelöst haben, die nicht weiter aufgefallen ist und sich so auch weiter verbreitet hat", vermutet der Virologe.

Atemwegserkrankungen, die mit Sars-Cov-2 in Verbindung stünden, seien eventuell mit der gleichzeitig kursierenden Grippe verwechselt worden." Link zu zdf.de

Noch am 20.3. hatte er in einer Generalabrechnung mit Wolfgang Wodarg ("altbekannter Querulant", "pensionierter Lungenarzt", "Harald Lesch mit Haaren", "pseudowissenschaftlicher Aufreger", "halber oder ganzer Unsinn") eine extreme Sterblichkeit betont.

Überwachung auch ohne Corona-App

Die Möglichkeiten von Überwachungstechnologien lange vor der Corona-App schildert am 29.3. die Welt. Danach wurde ermittelt, "wohin die potenziell Infizierten in der Zeit zwischen dem 1. Januar und 14. März gereist sind". Das Mess- und Beratungsunternehmen "umlaut" war dabei so vorgegangen: Es erfaßte

»... die Mobilfunknutzungsdaten, die automatisch und anonymisiert im Hintergrund von mehreren Hundert Apps ermittelt werden. Nach Angaben von umlaut sind diese Apps auf 200 Millionen Smartphones weltweit installiert...

In Deutschland befanden sich die Ziele der Skigäste aus Ischgl hauptsächlich in Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt und München.«

(Hervorhebungen nicht in den Originalen.)

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